|
S Y N C H R O N
Wenn zwei Dinge zueinander kommen, kann ein neues Ding dabei entstehen.
Wir kennen das aus der Biologie.
Das funktioniert aber auch anderswo – im Glücksfall. Der Glücksfall benötigt
einen Funken, der zwischen den beiden zuvor beziehungslosen Dingen
überspringt und es entsteht: Bedeutung.
Wahrscheinlich hat das etwas mit unserem wundersamen Gehirn zu tun.
Es bildet selbsttätig Zusammenhänge, erkennt Strukturen und freut sich
daran. Diagonal aufgereihte Kuchenkirschen in einer Masse von Zuckerguss
+ diagonal aufgereihte Fabrikarbeiter in einer Masse von Kartons.
Zwei seitlich liegende Kühe mit angewinkelten Beinen + zwei seitlich liegende
Soldatinnen mit angewinkelten Beinen und den Waffen im Anschlag.
Zwei Blechsärge parallel in brauner Erde + zwei Blechmülleimer parallel vor
braunem Stahl. Das Gehirn probiert Zusammenhänge aus: vorher/nachher,
Kommentierung, Ironie, Wieder-Erkennen im Anderen.
Synchronität
– und ihre räumliche Schwester Symmetrie - galt lange als Indiz
für Schönheit. Wir haben es gern, wenn Gesichter beispielsweise rechts und
links von der Nase achsensymmetrisch verlaufen, wenn Arm und Bein jeweils symmetrisch zum anderen Arm und Bein sind. Vielleicht hat das Gleichmaß
der Dinge immer noch etwas Beruhigendes, bedient es den unbewussten
Wunsch nach Harmonie und Ordnung in einer chaotischen Welt.
Doch bei diesen Bildern geht es um Synchronität im Disparaten. Das Synchrone
stellt erstaunliche Zusammenhänge her zwischen Kühen und Soldaten, Kreuzen
und Keksen, Supermärkten und Beerdigungen. Es geht also gerade nicht um
ein ästhetisches Gleichmaß aller Dinge, sondern um ihr verborgenes Verwandt-
Sein, das ebenso kurz wie überraschend aufleuchtet in jenem Funken, der
entstehen kann, wenn zwei Dinge zueinander kommen.
Anja Kretschmer [zurück] |
|
Walter Krieg / Ines Wenzel: SYNCHRON
Edition Progressbar
ISBN-Nummer: 978-3-00-050864-6
16 Euro |